16 Mär. 2015

Die Kirche im Dorf lassen

 

Schiedsrichter-Boss Hans-Dieter Krieg aus Leimen zur Diskussion über die Mehrfachbestrafung

Quelle: RNZ vom 16.3.15 Von Achim Wittich

 

 (ts)Ob der Hamburger SV in Sinsheim nicht als Verlierer vom Platz gegangen wäre, wenn er die Begegnung mit elf Spielern beendet hätte, sei einmal dahingestellt. Doch als Jaroslav Drobny in der 19. Minute Sven Schipplock umgrätschte, Schiedsrichter Günter Perl aus Pullach richtigerweise auf Elfmeter entschied u n d den Torhüter vom Platz stellte, waren die Norddeutschen noch chancenloser.

Der Bayer Perl handelte der Vorschrift entsprechend völlig richtig. In Regel 14 (Strafstoß) hat der Weltfußballverband Fifa festgelegt: „Begeht ein Spieler bei laufendem Spiel eines der zehn Vergehen, die mit direktem Freistoß zu bestrafen sind, innerhalb des eigenen Strafraums, wird gegen das Team des fehlbaren Spielers ein Strafstoß ausgesprochen.“ Zudem kommt Vorschrift 12 zur Anwendung: „Ein Spieler erhält die Rote Karte, wenn er eine offensichtliche Torchance für einen auf das Tor zulaufenden Gegenspieler vereitelt durch ein Vergehen, das mit Freistoß oder Strafstoß zu ahnden ist.“

Diese Mehrfachbestrafung sorgt für heftige Diskussionen. Die RNZ sprach mit dem Leimener Hans-Dieter Krieg (45), Vorsitzender der Schiedsrichter-Vereinigung im Fußball Kreises Heidelberg, über die „Sch…-Regel“ (Schalkes Manager Horst Heldt).

> Hans-Dieter Krieg, hat Schiedsrichter Perl mit seiner Elfmeterentscheidung plus Roter Karte richtig entschieden?

Selbstverständlich, da gibt es überhaupt keine Diskussion drüber.

 

> Warum?

Es war eindeutig zu sehen, dass eine klare Torchance vorliegt. Schipplock hatte Zug zum Tor, das ist das Entscheidende. Ansonsten lassen die Schiedsrichter auch die Finger von einer Roten Karte.

> Wann würde denn keine klare Torchance vorliegen?

Beispielsweise, wenn der Stürmer in Richtung Eckfahne geht. Dann gibt es bei einem Foul zwar Elfmeter, aber nicht zwingend Rot oder Gelb. Es kommt dann darauf an, wie schwerwiegend das Foul war. Nochmals: Bei der Mehrfachbestrafung geht es ausschließlich darum, eine klare Torchance zu verhindern.

> Das ist doch oft Auslegungssache ...

Ja, sicher. Läuft ein Angreifer beispielsweise kurz nach der Mittellinie los, kann ihn auf den 30 bis 40 Metern zum Tor immer ein anderer einholen, der noch die Möglichkeit hat, einzugreifen. In diesem Fall möchte ich nicht von einer klaren Torchance sprechen. Der Stürmer muss vielmehr im Strafraumbereich sein oder vorm Torabschluss stehen.

> Sollte die Regel abgeschafft werden?

Was wäre denn gewesen, wenn Schipplock 50 Zentimeter vorm Strafraum vergleichbar gefoult worden wäre? Es hätte eine Rote Karte plus Freistoß geben müssen, weil Drobny letzter Mann und Schipplock mit Zug zum Tor unterwegs war. Das Problem bei einer Abschaffung wäre: Was ist, wenn der Freistoß reingeht, es bleibt aber bei elf gegen elf? Und was, wenn Polanski den Strafstoß verschießt, aber es geht mit elf gegen elf weiter?

> Ist die Diskussion Ihrer Meinung nach überhaupt angebracht?

Im Amateurbereich wird darüber überhaupt nicht diskutiert. Das wird in der ersten und zweiten Liga hochgeschaukelt. Da sollte man die Kirche ruhig mal im Dorf lassen.

> Die Angreifer agieren sehr clever …

Ja, klar. Sie suchen halt immer den Kontakt. Wenn der Ball aber die Richtung verändert, sollte dem Abwehrspieler nicht immer ein Foul unterstellt werden, denn dann war er mit seinem Fuß noch dran.

 

Hans-Dieter Krieg, Vorsitzender des Heidelberger Kreisschiedsrichterausschusses