12 Feb. 2019

Zurück zum Straßenfußball?

 

Die Diskussion über die Zukunft des Amateurfußballs beschäftigt die RNZ-Leser

Quelle: Rhein-Neckar-Zeitung vom 11.2.2019


Zu unserem Beitrag „Der kleine Dicke fehlt in der C-Klasse“ über die Podiumsdiskussion zwischen Vertretern des Fußball-Verbandes und der Vereine in Kirchheim erreichten uns zwei Leserbriefe, die wir in gekürzter Form veröffentlichen.

 Den großen Wurf gibt es nicht

„Volle Arena, heftige Zweikämpfe, gefährliche Konter, verbale Alleingänge, emotionale Grätschen, Nachspielzeit, Verlängerung, Elfmeterschießen, ein cooler Schiedsrichter (Moderator Christopher Benz), ein kritisches, engagiertes Publikum – aber wenig Tore in Form von konkreten Lösungen: So der Eindruck von der Podiumsdiskussion im Clubhaus des hervorragenden Gastgebers FT Kirchheim mit Initiator Philipp Richter.

Wolfgang Brück, RNZ-Stimme des Amateurfußballs, spielte nicht nur selbst mit in dieser zweieinhalbstündigen Partie. Er schrieb unmittelbar danach seinen „Spielbericht“ für die RNZ. Ein Schnellschuss? Bei zehn Diskussionsteilnehmern (inklusive Brück) ist es wohl unvermeidlich, Inhalte verkürzt und plakativ wiederzugeben. Allerdings sollten Aussagen der Teilnehmer schon authentisch veröffentlicht werden.

Ein Beispiel: „Vielfach seien auch die Eltern Schuld, meint Joseph Weisbrod. ’Sie träumen davon, dass ihr Sohn mal in Hoffenheim spielen wird’, sagte der Vize-Präsident des aufstrebenden Vereins ASC Neuenheim.“ Das habe ich so nicht gesagt! Im Originalton wies ich vielmehr darauf hin, dass vom letztjährigen Badischen Hallenvizemeister ASC Neuenheim drei U 13-Junioren von 1899 Hoffenheim, Eintracht Frankfurt und SV Sandhausen abgeworben wurden und es in solchen Fällen eine angemessene Entschädigung bzw. Ablöse für den Ausbildungsverein geben sollte.

Zum Reizthema „Haus des Geldes“, von dem der DFB angeblich zu wenig für den Amateurfußball und die Jugendförderung übrig hat, habe ich die 6 Millionen Euro erwähnt, die die Wirtschaftskanzlei Freshfields für die bis heute nicht erfolgte Aufklärung der WM-Schmiergeldaffäre als Honorar kassiert hat – exakt die Summe, um die es bei den verschollenen Beckenbauer-Millionen ging.

Gravierender sind jedoch die dem DFB durch mysteriöse Deals im Grundlagenvertrag mit der DFL entgangenen etwa 50 Millionen Euro. In der Diskussion von mir erwähntes Zitat aus Zeit online: „Mit einer solchen Summe könnte der DFB die Amateurvereine von den rund 30 Millionen Euro entlasten, mit denen sie pro Jahr die Landes- und Regionalverbände tragen.“

Der Appell von Gernot Jüllich, „den Straßenfußball in die Vereine zu bringen“, ist das eine – die Umsetzung das andere. Den großen Wurf gibt es nicht. Es gilt der Weg der kleine Schritte. So sollte die Saison mit den Kreis- und Pokalspielen nicht schon vor den Sommerferien, sondern frühestens Ende August beginnen. Kleine Vereine, Trainer, Schiedsrichter und Ehrenamtliche müssen nicht nur ideell durch Lobeshymnen, sondern auch finanziell bedarfsgerecht unterstützt werden.

Geld sollte ja genügend in der Kasse sein, wenn der große DFB-Hund mit seinen 26 000 Mitgliedsvereinen sich nicht vom gierigen Schwanz DFL (1,8 Milliarden Einnahmen!) vor der Nase herumwedeln lässt. Andererseits, so die Redebeiträge von Ex-Kreisboss Alfred Lampert und Claus-Beter Bach, Vizepräsident des Badischen Sportbundes, werden viele Zuschüsse von den Vereinen gar nicht in Anspruch genommen.“

Joseph Weisbrod, Stellvertretender Vorsitzender des ASC Neuenheim

Griezmann wäre unentdeckt geblieben

„Anhand von zwei Beispielen aus der Vergangenheit versuche ich die Entwicklung, die der Fußball in den letzten Jahrzehnten genommen hat, zu beschreiben. In den 50-er und 60-er Jahren tummelten sich zahlreiche Kinder auf den Neckarwiesen in Neuenheim und jagten dem Leder hinterher. Es fanden sogar selbst organisierte „Auswahlspiele“ gegen die Altstadt oder die Weststadt statt. Die Neckarwiese war eine Fundgrube für die Heidelberger Fußballvereine. So manches Talent wurde hier entdeckt.

Heute wird das Bild von Volleyball- und Frisbee-Fans, Hunde-Ausführern, Smartphone-Süchtigen sowie Grill- und/oder Trinkfreudigen beherrscht.

Die älteren Semester werden sich mit Wehmut an die Zeiten erinnern, als vor großen Spielen im Südwest-Stadion oder im Wildparkstadion Jugendmannschaften vor großer Zuschauerkulisse Vorspiele bestreiten durften. In fast jedem Spiel war ein kleiner Knirps dabei, mit einer Hose, die bis zu den Knien reichte und das viel zu große Trikot war mit der Nummer 10 versehen. Aber dieser Steppke war dank seiner Technik und seines Spielwitzes immer der umjubelte Liebling.

Heute hätte er in den sogenannten Fußballschulen und -internaten nicht den Hauch einer Chance. Wir brauchen da nur nach Frankreich schauen, da wurde der spätere Weltmeister Antoine Griezmann für zu klein und zu schmächtig befunden. Er wechselte deshalb nach Spanien und ist heute ein absoluter Weltklassestürmer. Ich möchte nicht wissen wie viele „Griezmänner“ in Deutschland unentdeckt geblieben sind.

Selbst ich als unverbesserlicher Fußballromantiker weiß, dass jede Zeit Veränderungen mit sich bringt, aber trotzdem habe ich den (leider unerfüllbaren) Wunsch, der schnöde Mammon möge nicht mehr so drastisch im Vordergrund stehen, die Fesseln der taktischen Vorgaben würden gelockert und die Technik sowie die Offensive mehr gefördert. Ich träume von Offensivfestivals, wie bei der WM 1954 in der Schweiz als Ergebnisse wie 9:0, 7:5, 7:2, 6:1 an der Tagesordnung waren oder dem Endspiel der Landesmeister 1960 in Glasgow zwischen Real Madrid und Eintracht Frankfurt, das 7:3 endete. Aber Träume sind ja bekannterweise Schäume.“

Ralph-Peter Fischer, Bammental