08 Feb. 2019

"Der kleine Dicke fehlt in der C-Klasse“

 

Hitzige Diskussion gestern Abend in Kirchheim über die Not bei den Amateuren und die Zukunft des deutschen Fußballs

Quelle: Rhein-Neckar-Zeitung vom 08.Febr.2019 von Wolfgang Brück


(ts)Heidelberg. Hitzig ging es gestern Abend im überfüllten Vereinsheim der Freien Turner in Kirchheim zu. Hitzig und kontrovers. Thema war der Amateurfußball, dem es, sagt Ex-Profi Gernot Jüllich, noch nie so schlecht ging wie heute. 16 000 Mannschaften hat der Deutsche Fußball-Bund in den letzten fünf Jahren verloren. „Beim DFB hat man viel zu lange weggeschaut. Wenn sich nicht schnell was ändert, werden wir in den nächsten Jahren weitere, noch größer Verluste haben. Dann droht der Volkssport Fußball seine Vormachtstellung zu verlieren.“

Die Probleme treten schon früh auf. „Wir verlieren pro Jahr 60 bis 80 gute Fußballer an „Anpfiff ins Leben“, Hoffenheim und Sandhausen. Viele scheitern, aber sie kommen nicht zu ihren Heimatvereinen zurück, weil sie sich schämen“, erklärt Stephan Anweiler, der die Reserve des VfB St. Leon trainiert. „,Anpfiff ins Leben’ bildet Spieler aus, von denen die Vereine der Region profitieren“, widersprach Theo Streu, der die Homepage der von Dietmar Hopp gegründeten Organisation betreut.

Ablösegelder, eine Beschränkung auf zwei Jugendmannschaften pro Altersklasse bei den Großen und ein Zweitspiel-Recht für den Heimatverein wurden als Lösungs-Vorschläge genannt.

Vielfach seien auch die Eltern Schuld, meint Joseph Weisbrod. „Sie träumen davon, dass ihr Sohn mal in Hoffenheim Bundesliga spielen wird“, sagte der Vize-Präsident des aufstrebenden ASC Neuenheim. „Unverantwortlich“ findet es Gernot Jüllich, wenn schon Zwölfjährige wechseln. „Kein Mensch kann voraussagen, ob einer mit zwölf mal Bundesliga-Spieler wird.“

Der Erfolgstrainer übte auch Kritik an der Ausbildung: „Das System der Eliteschulen hat versagt. Wir müssen den Straßenfußball in die Vereine bringen. So wie es jetzt läuft, wird Deutschland keine Weltklasse-Spieler mehr herausbringen.“

Kontraproduktiv sei auch die Einstellung mancher Vorstände. „Die geben lieber einem Spieler der ersten Mannschaft 500 Euro, anstatt das Geld in die Jugend zu investieren“, stellte DFB-Stützpunktleiter Gottfried Mantey fest.

DFB-Vize Ronny Zimmermann gab zu bedenken: „Schon in der Jugend steht der Leistungsgedanke im Vordergrund. Die wollen gewinnen und dann bleibt eben der kleine Dicke draußen und genau der fehlt dann in den C-Klassen.“

Ums liebe Geld ging es gestern Abend immer wieder. „Im deutschen Fußball wird eine Unmenge von Geld generiert, aber nur ein kleiner Teil kommt bei den Amateuren an“, sagte Jüllich. Weisbrod legte nach: „Der DFB verschenkt durch einen nachteiligen Grundlagen-Vertrag viele Millionen Euro.“ Der Marketing-Chef wundert sich: „Für die Agentur, die den WM-Skandal aufarbeiten sollte, waren sechs Millionen übrig.“

Zimmermann wies die Vorwürfe zurück. Rund 50 Millionen vom großen Kuchen gehen an die kleinen Vereine. 50 Millionen von 1,5 Milliarden Euro Fernsehgelder. Anweiler ist überzeugt: „Der DFB ist der größte Verband der Welt. Er lässt sich von den in der Deutschen Fußball Liga organisierten Profis über den Tisch ziehen.“

Philipp Richter vom Gastgeber Freie Turner Kirchheim fordert mehr Transparenz im Verband, gerade bei den Kosten. Der Heidelberger Fußballchef Johannes Kolmer rechnete vor: „Allein durch Strafen für fehlende Schiedsrichter kommen 20 000 Euro pro Jahr in die Kasse.“

Es gibt auch erfreuliche Beispiele. Dimitrios Chrisafis, ein Bammentaler, der jetzt Jugendleiter bei der SG Oftersheim ist, berichtete von seiner Abteilung mit sage und schreibe 418 Kindern und Jugendlichen. bfv-Vize Rüdiger Heiß lobt: „Dort, wo engagierte Ehrenamtler am Ruder sind, läuft es. Die Vereine müssen eigene Ideen und Konzepte entwickeln.“

Eigentlich sollte nach neunzig Minuten Schluss sein, doch nach zwei Stunden gab es beim vorzügliche Moderator Christopher Benz immer noch Wortmeldungen. Der Redebedarf ist groß.

Ertunc Ergün sprach das Schlusswort. Der ehemalige Trainer des VfB Wiesloch, besser bekannt als „Litti“, meinte: „Es kamen nur fünf Prozent der Themen zur Sprache. Diskussionen dieser Art muss es öfter geben.“

 

Bei der Podiumsdiskussion im Kirchheimer Vereinslokal :Auf unserem Bild v.l.: Gernot Jüllich, Joseph Weisbrod, Philipp Richter, Dimitrios Chrisafis, Wolfgang Brück, Christopher Benz, Stephan Anweiler, Johannes Kolmer, Ronny Zimmermann.und Rüdiger Heiß

Auch Prominenz hatte sich gestern Abend eingefunden: So saß etwa Hoffenheims Präsident Peter Hofmann (2. Reihe, Mitte) im Publikum. Fotos 1u2: vaf

Initiator Wolfgang Brück (RNZ) und Moderator Christopfer Benz (freier RNZ Mitarbeiter)Foto: Theo Streu

Auch Johannes Kolmer, 1. Vorsitzender des Fußballkreise Heidelberg, bezog Stellung Foto: Theo Streu

Philipp Richter , FT HD Kirchheim, brachte diese Disskussion in Gang Foto:Theo Streu